CFP: Studientag zu Leopold von Sacher-Masoch, 25.11.2016

 

Zagreb, Kroatien
Philosophische Fakultät der Universität Zagreb

 

Koordination: Maja Vukušić Zorica, Stephan Kurz

 

Der Lehrstuhl für französische Literatur der Abteilung für Romanistik und die Abteilung für Germanistik der Philosophischen Fakultät der Universität Zagreb sowie die Österreich-Bibliothek Zagreb richten anlässlich des 180. Geburtsjubiläums des Autors einen Studientag zum Werk von Leopold von Sacher-Masoch aus.

Es sind vor allem zwei Hauptlinien, denen sich der Studientag widmen wird:

Einerseits ist da die Frage der Rezeption Sacher-Masochs im Vergleich zwischen Frankreich und dem deutschsprachigen Raum: Sacher-Masoch ist vor allem in der französischen Philosophiegeschichte überaus wichtig geworden, da sich sein Name und das, was gemeinhin damit verbunden ist, als Einsatz für viele Debatten eignet. Die jüngere deutschsprachige Forschung betont dagegen andere kulturgeschichtliche und -geografische Kontexte, die im Werk Niederschlag gefunden haben, und versucht diese beispielhaft herauszuarbeiten. Angestrebt ist hier eine produktive Konfrontation der Forschungstraditionen.

Andererseits soll es um die spezifische Literarizität von Sacher-Masochs Oeuvre gehen, die sich von den Texten und Programmen der Zeitgenossen in Vielem unterscheidet, gleichzeitig aber, was die Gattungswahl, die Erzähltechnik, die Figurendarstellung betrifft, an verschiedene Traditionen anschließt – wie verhalten sich diese Texte etwa zu den Paradigmen des Realismus?

Wir laden zu Lektüren ein, die das spezifische Verhältnis zwischen Sacher-Masochs Schreiben und jenen Konzepten, die auf seinem Werk gründen, thematisieren (abgesehen von psychoanalytischen Interpretationen). Zur Diskussion stehen Themenbereiche von Subjektivität und Desubjektivierung – Verlust seiner Identität als Schriftsteller (Krafft-Ebing), wo sein Name nur mehr für ein Konzept steht, das als spezifisches „Symptom“ die Internierung rechtfertigt (Foucault) – bis zur Kritik der simplifizierenden Reduzierung auf „Ur-Szenen“. Bei Sacher-Masoch wird der Name zentral (Derrida), von jenem Wandas zu seinem eigenen (Pascal Quignard, Jean-Paul Corsetti). Sein Werk, den Kriterien der Ästhetik verpflichtet und „pornologisch“ (Deleuze), lädt dazu ein, eine reziproke Szene von deutscher und französischer Literatur in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu entdecken. Deren Eigentümlichkeit verbindet Glitter und Verkleidung (travestissement) mit der Idee des (masochistischen?) Künstlers und der Idee des Paares. Sie wirft die Frage nach dem Namen auf; zentral bleiben auch Fragen nach der Fiktionalität, nach der Fiktion des Lebens und dem Gedanken, dass nur Schreiben ein Anderes gebären/hervorbringen kann (Deleuze nennt das „masochisant“, masochisierend). Diese philosophisch-kulturtheoretischen Fragestellungen sollen ausgehend von Sacher-Masochs Ästhetik mit den literatur- und kulturgeschichtlichen Fragen in einen Dialog gebracht werden: Aus welcher spezifischen kulturhistorischen Situierung und (im Doppelsinn:) Grenzbereichen resultieren jene Figurationen, die für die Diskursgeschichte des modernen Subjekts im 20. Jahrhundert fruchtbar geworden sind? Welche Funktion hat das Setting der österreichisch-ungarischen Monarchie (Stadt vs. Land, ökonomisches und sprachliches Gefälle, das „Slawische“, das Jüdische und ihre Mythologeme, deren Verwendung in den Texten) für die Figuren und Bilder des Fremden im Eigenen in den Texten Sacher-Masochs?

Unsere Initiative setzt sich zum Ziel, das literarische und historische Werk Sacher-Masochs neu zu beurteilen und dabei auch andere, bisher wenig beachtete Kontexte mit einzubeziehen: den galizischen Kontext, die Besonderheit der französischen Exegese seines Werks (Sartre, Deleuze, Quignard und viele andere), den Stellenwert und Status von Fiktion und Fiktionalisierung in und für Sacher-Masochs Werk und Leben (auch das seiner Frauen, seiner „Freunde“), sowie die notwendigen Bedingungen der masochistischen Szene und ihrer Codes.

 

Mögliche Themenbereiche und Fragen zu Sacher-Masochs Werk wären z.B. – das heißt ausdrücklich: nicht ausschließlich –:

Szenen der Rezeption: in Frankreich, Österreich und Deutschland – wer liest in welchen institutionellen Kontexten warum und wann welche Texte Sacher-Masochs und was folgt daraus?

Kulturelle Kontexte und geographischer Hintergrund: Galizien, zeitgenössisches „kakanisches“ Leben, Sacher-Masochs Verhältnis zu Frankreich (Therese Bentzon, seine Übersetzerin seit 1875; Revue des deux Mondes)

Religion: das Jüdische (Das Vermächtnis Kains u.a., das Problem der Schuld und die Verbindung zu Bataille), Katholizismus (Märtyrerleben) und Heidentum (von der Antike bis zur slawischen Folklore)

Gattung: die (selbst-)widersprüchliche Biographie – Wanda von Sacher-Masoch alias Angelika Aurora Rümelin (Meine Lebensbeichte), Carl-Felix von Schlichtegroll (Sacher-Masoch und der Masochismus und „Wanda“ ohne Maske und Pelz); Venus im Pelz als autobiographischer Roman, der Briefroman Die Liebe des Plato (Androgynie); Sacher-Masochs Theater, dessen Umstände; Theatralität (Burleske), Emotionen des Theaters

Vertragsprobleme: Verträge mit Frauen (Fanny Pistor, Wanda von Sacher-Masoch), der Grieche und die Frage der Entmannung (Vertragsbruch)

Genderfragen und Frauenideale: Der grausame Geschmack der Kombination einer Frau als Statue, heidnisch und nicht sadistisch (Die Hyäne der Pußta: die einzige Sadistin in Sacher-Masochs Werk?), Pelz: Synonym des Bestialischen, Wilden (Männlichen?)

Fiktion: Strategien der Fiktionalisierung und Authentifizierung in Sacher-Masochs Texten, aber auch im Leben und in der Biographie (Carl-Felix Schlichtegroll, Bernard Michel uvm.)

Journalismus: Auf der Höhe, kosmopolitische internationale Revue; Kollegen (z.B. Armand Rosenthal, auch genannt Jacques Saint-Cère, der Schwindler, Plagiarist) und ihre Gönner

Panslawismus, slawische Folklore

Pessimismus, Mysogynie (Schopenhauer und Bakunin) und Sartres Argument gegen die Reifizierung (Sein und Nichts, L’être et le néant)

das Verhältnis zur Natur (z.B. im Verhältnis zu Bernardin de Saint-Pierre, Rousseau, zu neueren naturwissenschaftlichen Konzepten des 19. Jahrhunderts)

Sacher-Masoch und einzelne spätere Autor/inn/en (etwa Kafka: Humor, das Komische, das Spiel mit dem Namen, Legalismen)

Das Künstlerisch-Masochistische und die Frage der Überschreitung (Geschlechtsverkehr oder Orgasmus [Anti-Ödipus, Deleuze])

Das „Nicht-Ernste“ und der Humor (Wie ernst sind das Ertragen von Bestrafung und Folter [Freud] und die „Werkzeuge“ [Transvestismus, Pelz, Knute, Kosakenpeitsche, der Stier aus Messing usw.])

 

Wir bitten um 20-minütige Vorträge auf Französisch oder Deutsch.

Vorschläge (max. 300 Wörter) bitte bis 15. September 2016 an:

mzorica@ffzg.hr

skurz@ffzg.hr